Leitsatz: Bei einem aus mehreren Arbeitsgebieten zusammengesetzten gemischten Berufsbild kann nur dann von einer künstlerischen Tätigkeit ausgegangen werden, wenn die künstlerischen Elemente das Gesamtbild der Beschäftigung prägen, die Kunst also den Schwerpunkt der Berufsausübung bildet. Jazztanz als ein Element des Bühnentanzes kann auch der darstellenden Kunst zugeordnet werden.

Gericht: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.06.2014
Aktenzeichen: L 5 KR 249/12

 

Was war passiert?
Eine Tanzlehrerin unterrichtete im Schnitt in der Woche 4 ½ Zeitstunden Jazztanz, drei Zeitstunden Modern Dance, drei Zeitstunden Hip Hop sowie 5 ½ Wochenstunden Wettbewerbsgruppen in den verschiedenen Tanzarten, sowie Ballett. Zudem gab sie einen berufsbegleitenden Wochenkurs für Personen in künstlerisch darstellenden Berufen und einmal Ballett für Kinder.

Die Tanzlehrerin beantragte nun die Aufnahme in die Künstlersozialversicherung als Choreografin und Pädagogin im Bereich der darstellenden Künste. Nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz werden selbständige Künstler in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische Tätigkeit dauerhaft und erwerbsmäßig ausüben. Als Künstler im Sinne dieses Gesetzes werden diejenigen verstanden, die Musik, darstellende oder bildende Kunst schaffen, ausüben oder lehren.

Die Künstlersozialkasse lehnte eine Versicherungspflicht mit dem Argument ab, dass eine Tätigkeit im Bereich Kindertanz, Jazztanz und HipHop keine darstellende Kunst sei. Diese folge aus den Gesetzesmaterialien, aus denen sich ergibt, dass „Kunst“ auf jeden Fall solche Tätigkeiten umfasse, mit denen sich der „Künstlerbericht“ von 1975 beschäftige. Dieser beinhalte unter anderem das Ballett, nicht jedoch Tanzarten wie Hip Hop, Jazz- oder Kindertanz. Das Bundessozialgericht habe Jazztanz, Tango Argentino, Hip Hop, Salsa, Breakdance, Merengue, historischen Tanz, Flamenco, Stepptanz, orientalische Tänze und Streetdance nicht als Kunst eingestuft. Dem folgend unterrichte auch die Tanzlehrerin keine darstellende Kunst.

Nachdem sich das zuständige Sozialgericht für eine Versicherungspflicht der Lehrerin aussprach, legte die Künstlersozialkasse Berufung ein.

 

Entscheidung: Das Landessozialgericht entschied unter der Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit der Tanzlehrerin im Bereich der darstellenden Kunst lag, sodass diese in der Künstlersozialversicherung aufgenommen werden muss.

Gerade bei einem aus mehreren Arbeitsgebieten zusammengesetzten gemischten Berufsbild kann nur dann von einer künstlerischen Tätigkeit ausgegangen werden, wenn die künstlerischen Elemente das Gesamtbild der Beschäftigung prägen, die Kunst also den Schwerpunkt der Berufsausübung bildet. Das Gericht stellte sich daher die grundsätzliche Frage, ob der Jazzunterricht und der Unterricht der Wettkampfgruppen als Lehre darstellender Kunst bezeichnet werden können. Bei der Bewertung kommt es darauf an, ob die Schüler durch den Unterricht befähigt werden sollen, Tanz für berufliche oder private Zwecke unabhängig von dem dargestellten Niveau als Kunstform darzubieten. Der Jazztanzunterricht und die überwiegend aus Ballett, Jazztanz, Modern sowie Hip Hop bestehenden Wettbewerbskurse der Lehrerin sind eine mit dem Ballett vergleichbare künstlerische Betätigung. Die Klägerin befähigt ihre Schüler auch dazu, diese als Kunst – sei es auch nur für private Zwecke – darzubieten.

Die historische Entwicklung zeigt, dass verschiedene Tanzformen weitreichende Veränderungen erfahren haben und sich Bühnentanz zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht auf einen Stil oder eine Form festlegen lässt. Verfasste man den „Künstlerbericht“ im Jahr 2014, wäre die Bezeichnung „Balletttänzer“ durch die Bezeichnung „Bühnentänzer“ zu ersetzen. Jazztanz als ein Element des Bühnentanzes kann damit auch der darstellenden Kunst zugeordnet werden. Zudem haben die den Schwerpunkt der Tätigkeit ausmachenden Unterrichtsstunden des Jazztanzes und der Wettbewerbsgruppen gerade das Ziel, die während des Unterrichts sukzessiv erlernten und von der Lehrerin choreografierten Tänze öffentlich aufzuführen.